Filed under: Geschichten, Mal sehen | Schlagwörter: Abflug, Abwehrbeschuss, Abwurf, Adolf Hitler, Überlebenswille, Befehl, Berufung, Besatzung, Bilder, Boden, Bomben, Bomber, Bomberpilot, Bord, Cockpit, Dienstzeit, Druckabfall, Einsatz, Einsatzbefehl, Einsätze, Erfahrung, Erwin, Explosionen, Fallschirme, Feuerball, Flak, Flakgeschosse, Flakrakete, Flakstellungen, Flügel, Flugzeug, Frankreich, Freitod, Fronturlaub, Gebete, Gefreiter, Geschichten, Geschrei, Großvater, Hektik, Himmel, Hoffnung, Innenraum, Instruktionen, Junge, Kamerad, Kampf, Kanzel, Können, Knall, Kopf, Krieg, Kugel, Lagerfeuer, Lärm, Leben, Lichtblitze, Lichter, Luft, Mannschafft, Manschaft, Maschine, Maschinenegewehrkanzel, Maschinengewehr, Männer, MG, Minuten, Mitternacht, Mut, Nervosität, Opa, pfeifen, Platz, Position, Rauchspuren, Rücken, Reisen, Rohre, Schock, Sicherheit, Sitz, Soldat, Splitter, Sprengsätze, Stadt, Studium, Stunden, Tank, Tür, Techniker, Teil, Theologie, Tod, Trauer, Wartung, Weg, Wind, Wucht, Zündköpfe, Ziel, zweiter Weltkrieg
Als kleiner Junge sprach mein Opa sehr oft zu mir über sein Leben. Bevor mein Opa das Studium der evangelischen Glaubenslehre begann, war er Bomberpilot unter Adolf Hitler. Nach dem Krieg arbeitete er hier und dort, bis er sich im Klaren über seine Berufung war.
Während er mir Bilder seiner Dienstzeit, seines Flugzeugs und seiner Reisen zeigte, erzählte er mir seine erschreckenden Geschichten über den zweiten Weltkrieg. Eines Tages wurde ihm befohlen, mit seiner Manschaft einsatzbereit im Flugzeug zu warten, bis weitere Instruktionen folgen sollten. Er trommelte seine Männer zusammen, außer dem glücklichen Erwin, der für die Wartung der Fallschirme und die Sicherheit an Bord zuständig war, und zwei Tage zuvor seinen Fronturlaub angetreten hatte. Stattdessen meldete sich ein junger Gefreiter zu seinem ersten Einsatz. So gingen die Männer also zum Flugzeug und machten sich, jeder auf seinem zugeteilten Platz, bereit für den Abflug. Die Bomben mit den Sprengsätzen wurden von den Technikern an Bord gebracht. Ganze 14 Stunden mussten sie warten, bis der Befehl zum Abflug erteilt und das Ziel bekannt gegeben wurde. Es war kurz nach Mitternacht und draußen war es dunkel.
Mein Opa und die Mannschaft machten sich startklar. Dem jungen Gefreiten wurde befohlen, ruhig sitzen zu bleiben, da er die routinierten Männer nur aufhalten würde. Keine fünf Minuten nach Einsatzbefehl war die Maschine in der Luft, auf dem Weg zu einer Stadt im Osten Frankreichs. Während das Flugzeug dem Ziel näher kam, stieg die Nervosität an Bord. Zwar waren alle, bis auf den Gefreiten, schon viele solcher Einsätze geflogen, aber jeder der Männer, die im Krieg bereits starben, taten dem gleich. Können und Erfahrung waren nichts wert, wenn man unter starkem Abwehrbeschuss stand. Eine Kugel in den Tank reichte aus, um das Leben von mehreren Männern auszulöschen. Vorne im Cockpit konnte mein Opa die anderen hören, wie sie Gebete und sich gegenseitig Mut und Hoffnung zu sprachen. Dann sah er die Lichter der Stadt und die ersten Explosionen, verursacht von gleichgesinnten Bombern, die wie sie den gleichen Befehl erhielten. Der Lärm des Kampfes drang nun bereits bis zum Flugzeug und die Lichtblitze erhellten den Innenraum. Der Soldat am Maschinengewehr machte sich auf den Weg in die Kanzel am unteren Teil der Maschine. Die Männer, die für den Abwurf der Bomben zuständig waren, überprüften nochmals alle Rohre und Zündköpfe. Nur der junge Gefreite blieb regungslos auf seinem Platz und klammerte sich, schweißüberströmt, an den Sitz.
Die ersten Flakgeschosse brausten mit einem grellem Pfeifen vom Boden in den Himmel und hinterließen Rauchspuren, bis sie mit einer gewaltigen Wucht und einem hellen Feuerball in tausende Splitter zerfetzt wurden, die ihrerseits rasend schnell durch die Luft schnitten. Der Lärm war ohrenbetäubend. Über dem Ziel angekommen warfen die Männer die ersten Bomben ab. In der Maschinengewehrkanzel knatterte das MG ununterbrochen. Hektik und Geschrei brachen an Bord aus. Während mein Opa versuchte, die Flakstellungen am Boden ausfindig zu machen und zu umfliegen. Plötzlich ertönte ein lauter Knall und die Maschine erzitterte. Manche der Soldaten wurden zu Boden gerissen und das MG verstummte. Nach kurzer Zeit war klar, dass eine Flakrakete in der Nähe der Kanzel explodierte und den Soldaten darin in den Tod riss. Für die Besatzung ein Schock, aber nur ein kurzer, da der Einsatz und der Wille zu überleben wichtiger waren, als die sofortige Trauer um den Kameraden. Noch ein gewaltiger Knall und wieder erbebte das ganze Flugzeug. Während alle Männer zurück auf ihre Position sprangen, stand der junge Gefreite auf, ging zur Tür, riss sie auf und sprang aus dem Flugzeug heraus. Der plötzliche Druckabfall und der starke Wind im Innern der Maschine zwangen den Einsatz zu beenden. Mein Opa kehrte um. Hinter dem Sitz des Gefreiten hing noch immer dessen Fallschirm, den er nicht anlegte, weil der glückliche Erwin nicht an Bord war, um ihn einzuweisen. Ob sich der junge Mann bewusst darüber war, dass er den unausweichlichen Freitod wählte oder ob er dachte, er hätte einen Fallschirm am Rücken, weiß bis heute niemand.
Mein Opa starb vor vielen Jahren, aber viele seiner Geschichten sind mir im Kopf geblieben. Kurz nach seinem Tod träumte ich von ihm und wie wir zusammen, am Lagerfeuer sitzend, über unser Leben sprechen…
Filed under: Geschichten, Mal sehen | Schlagwörter: Abend, abknutschen, Absturzkneipe, Alkohol, Anmache, Anmachsprüche, antwort, Anwesenheit, Auffahrt, Augen, Ausgang, Auto, Öffentlichkeit, Begegnungen, begehrt, begrabschen, Bekannte, bespringen, Bewegungslust, blöd, Bob Marley, Dancefloor, Dankeschön, dissen, Dorfischen, Dreh, Drehung, Droge, Eck, Ende, Ex, fahren, Fahrt, Fan, Fasching, Frau, Freunde, Freundin, Fuß, Fummeln, Gefühl, Geschichte, gesichtsausdruck, Gespräch, Getränk, Gewissen, Glück, good old days, Hand, handgreiflich, Hüfte, Hüften, Heimatstadt, Heimweg, Hilfe, Hohlräume, Italien, Kamel, Karfreitag, Körpergröße, Kilometer, Klänge, Kneipe, Kollege, Komplimente, Kopf, Kraft, Kuss, Lage, Lautsprecher, Licht, Location, Mädels, männlich, Menschen, Mischkonsumenten, Mom, MP3-Spieler, Musik, Namen, Oberschenkel, Party-People, Partytiere, Plattenlabel, Po, positiv, Rande, Räume, Rücken, Reaggea-Musik, Rhythmen, Riesentyp, Satz, Scham, Schatten, scheiße, Schlag, Schrank, Schwester, Schwesterchen, Schwung, Selbstbewusstsein, Stadt, Suff, super, tanzen, Tanzfläche, Tanzkäfig, Tanzverbot, Theke, Toilette, toll, Tour, Trauerbewältigung, Tränke, Treiben, trinken, Typ, umarmen, Umgang, verblüfft, verfassungswidrig, Wange, Woche, Wochenende, Worte, Zeit, Zeug, Zwei-Meter-Hüne, Zwischenzeit
Am Wochenende war ich mal wieder in einer alten Heimatstadt unterwegs. Ich traf mich mit guten alten Freunden in einer Kneipe und wir plauderten, tranken, kickerten und kicherten über die good old days. Nachdem wir all das getan hatten, entschieden wir uns, die nächste Location aufzusuchen, um gegen das verfassungswidrige Tanzverbot am Karfreitag zu verstoßen.
Ich huschte mehrmals über die Tanzfläche, wollte bei der seltsamen Musik aber nicht so richtig in Fahrt kommen. Während ich das Treiben also am Rande beobachtete, kam plötzlich eine gutaussehende Frau zu mir, umarmte mich und sagte: „Ich bin ein Fan von dir!“. Ich schaute sie verblüfft an, denn ich konnte sie einfach nicht einordnen. „Ich finde dich super, weil du immer so bist, wie du bist!“. Nach diesem Satz war ich echt erstaunt, zumal sie meinen Namen kannte, den ich hier natürlich ausspare.
„Ich fühle mich echt geschmeichelt und stell mich mal schnell da rüber ins Eck zum rot werden.“, war meine Antwort. Ich bin im Umgang mit Komplimenten sehr schlecht und ich wusste immer noch nicht, wie ich sie und ihre Worte einordnen sollte. Da kam eine Bekannte zu uns, die sich als gemeinsame Freundin entpuppte und erinnerte mich an die Geschichte, wie wir drei uns kennen lernten:
Ich war mal wieder on tour und meine Bewegungslust trieb mich in jene Absturzkneipe mit der unübersichtlichen Auffahrt, von der ich schon einmal berichtet habe. Aus den Lautsprechern schallte Reaggea-Musik und die freien Räume zwischen Theke, Toilette und Ausgang waren gefüllt mit tanzenden Party-People. Die meisten auf der Droge Alkohol, aber ein paar Mischkonsumenten waren auch dabei, denn die Augen gingen von ganz groß bis ganz klein. Natürlich fand ich mich sofort mitten auf dem Dancefloor und kreiste meine Hüften zu den kräftigen Rhythmen. Let it flow, swing it low!
Irgendwann muss auch ein Kamel zur Tränke und so kam auch ich denn an die Theke. Neben mir standen zwei Mädels und lächelten mich an. Da ich ja nichts Besseres zu tun hatte, startete ich das Gespräch. Kurze Zeit später drängelte sich so ein Zwei-Meter-Hüne an uns vorbei. Er gab mir kurz die Hand, da ich ihm schon mehrmals begegnet bin – diese Partytiere teilten sich schon einige Nächte den gleichen Tanzkäfig – und wendete sich dann zugleich den beiden Mädels zu.
Mir fiel auf, dass sein Selbstbewusstsein nicht seiner Körpergröße entsprach, denn seine Anmachsprüche waren erste Scheiße. So Zeug, was man Dorfischen zum Fasching auftischen kann, damit sie im Suff das Gefühl haben, begehrt zu sein. Ich war bedient und ging zurück auf den Dancefloor. Johnny T wäre stolz auf mich gewesen. So nach und nach wurde die Kneipe leerer, die Schatten auf der Tanzfläche kleiner und als mich das Licht direkt anstrahlte, entschied ich mich für ein weiteres Getränk.
An der Theke standen noch immer die beiden Mädels und der Riesentyp, dessen Anmache nun bereits handgreiflich wurde. Er begrabschte eine der beiden mit seinen großen Händen, schob seinen Oberschenkel gegen ihren Po und seine Hüfte gegen ihren Rücken. Sie war sichtlich bedrängt und ihr Gesichtsausdruck war alles andere als erfreut. Dennoch schien sie nicht den richtigen Dreh zu finden, um sich aus der misslichen Lage zu befreien.
Also ging ich zu ihr und sagte, „Hey Schwesterchen, alles ok?“. Nach diesem einleitenden Satz drehte ich mich zu dem Schrank und meinte, „Du Kollege, wie ich seh, gefällt dir meine Schwester. Ich hab sie heute mal mitgenommen, aber ich musste unserer Mom versprechen, dass ich auf sie aufpasse. Also du kannst ihr gerne sagen, dass sie dir gefällt, aber Fummeln geht nicht!“. Der Typ schaute mich mit großen Augen an und versprach mir, sich zurück zu nehmen, wobei er seine Hand wieder auf ihre Hüften legte. Ich packte die Hand, die so groß war wie mein Kopf und mich mit einem Schlag zu Bob Marley hätte schicken können. „Hey Kollege, ich mein’s ernst! Can’t touch this!“. Wenn man schon damit angefangen hat, muss man es eben auch zu Ende bringen. In der Zwischenzeit kam mein Getränk und ich war zufrieden. Da der Hüne auf mich hörte, drehte ich mich wieder um und widmete mich den restlichen Klängen der Musik.
Aber kaum drehte ich mich wieder – im Schwung einer Drehung – zur Theke, konnte ich sehen, wie der Riese wieder Hand anlegte. Ich ging zurück, quetschte meinen kleinen Körper zwischen die Hohlräume, die er noch frei lies, bevor er sie ganz besprungen hätte, schaute sie an und sagte, „Komm Schwesterchen, lass uns gehen.“. Sie war natürlich sofort dabei. Ihre Freundin ebenso. Und zum Glück war sie mit dem Auto da und konnte tatsächlich auch noch fahren.
Leider ließ sie mich nur einen halben Kilometer später wieder raus. Vermutlich war jegliche männliche Anwesenheit zu viel für sie an diesem Abend. Ich vernahm noch ein kurzes Dankeschön und dann nur noch die Musik aus meinem MP3-Spieler, die mich auf meinem anderthalbstündigen Heimweg begleitete.
Nachdem mir die Geschichte also wieder einfiel, konnte ich das Mädel wieder einordnen. Warum sie mich so toll fand, wurde mir dann auch klar. Und wie als hätte sie noch ein schlechtes Gewissen, gab sie mir einen Kuss auf die Wange und sagte nochmals, dass sie ein Fan von mir sei. Manchmal reicht das schon aus und so bedankte ich mich nur und ging den Abend alleine zu Ende genießen.
Das schöne ist, dass mir in letzter Zeit wieder öfter solche Begegnungen passieren. Erst vor einer Woche wurde ich von einer Frau umarmt und links und rechts abgeknutscht, die anscheinend nur wegen mir die Kraft fand, in einer fremden Stadt Fuß zu fassen. Eine Ex, die sich aus dem fernen Italien meldete, und mir Hilfe bei der Trauerbewältigung anbot. Eine andere Frau, die sich ebenso plötzlich nach Jahren wieder meldete und mich zu ihr einlud. Und noch eine Frau, die mir Dankte, weil ich ihr geholfen hatte. Eine gute alte Freundin, die sich entschuldigte, weil sie mich mal blöd in der Öffentlichkeit gedisst hatte – schon längst vergessen.
Es ist schön, wenn man weiß, dass man alles in allem positiv in den Köpfen anderer Menschen hängen bleibt und dass man zu denen gehört, denen man ohne Scham Danke oder Entschuldigung sagen kann. Ich bin Bushidos Plattenlabel!
Filed under: Geschichten, Mal sehen | Schlagwörter: Abmarsch, Afrika, Afrikaner, Alkis, Alter, Angestellte, Anhänger, Anhöhe, Asphalt, atmen, Auffahrt, Auto, Überraschung, Beamte, Befehl, Benutzung, Besitzer, Bewusstsein, Bier, blöd, Blut, Boden, Chef, Crazy, Deutsch, drei, Drogis, egal, Ekel, Fahrer, Feierabend, Feierabendbier, Freund, Geschehen, Geschichte, Gestalten, Halswirbel, Hand, Handy, Hans Meiser, Hauptstraße, Haus, heile Welt, Helfer, Hergang, Herren, Hintereingang, Horrorstories, Hurensohn, indoktriniert, innere Blutungen, Junky, Knochenbrüche, Kopf, Kranke, Lage, Lokal, Mann, Müdigkeit, Menschen, Minivan, Nachts, Nazi, Opfer, partout, Polizei, Regeln, regelwidrig, Sanies, Sauerei, schauen, Schlimmste, Schritte, Sorgen, Stadt, Stelle, Straße, Tag, Telefon, Telefonat, Theke, Thema, Tour, Tunnelblick, Uhr, Unfall, Unterkunft, verantwortungslos, Verhalten, Verkehrsspiegel, Verlogenheit, Vogel, Vogelkönig, Wasser, Wäsche, Weg, Wege, Wette, Wind
Ich erinnere mich an eine Geschichte, die mir vor einigen Jahren passiert ist. Es war gut vier Uhr morgens und ich war ebenso gut mit Bier betankt. Am Ende meiner nächtlichen Tour besuchte ich noch eines dieser Lokale, die man nach vier nur noch über den Hintereingang betreten kann. Natürlich muss man dazu den Besitzer kennen, aber ich kenne eh jeden…
Mein Tunnelblick erfasste einige Gestalten, denen man besser nicht des Nachts begegnen möchte. Es waren die üblichen Alkis, Drogis und Crazys, die ich leider ebenso schon kannte. Wer Menschen liebt, scheut die heile Welt der wirklich Kranken. Aber nichts zum Thema „Heile Welt“ und deren Verlogenheit, da ich ja eine andere Geschichte erzählen möchte.
Nun, ich setzte mich an die Theke, plauderte mit Cheffe und seiner Angestellten und trank mein Feierabendbier. Nachdem mich die Müdigkeit dann doch überzeugt hatte, meinen anderthalbstündigen Abmarsch anzutreten, verabschiedete ich mich und ging nach draußen.
Ich muss kurz die Lage des Lokals beschreiben: Es befindet sich auf einer kleinen Anhöhe und ist direkt über eine steile und unüberschaubare Auffahrt mit der Hauptstraße verbunden. Ein Verkehrsspiegel ist zwar angebracht, aber selten in Benutzung… Zumindest könnte man das meinen, da an dieser Stelle immer wieder kleinere Unfälle passieren.
Mit lahmen Schritten ging ich also diese Auffahrt hinunter. Der Tag war bereits angebrochen und die Vögel zwitscherten energisch um die Wette: „ich bin der Vogelkönig, twiet twiet!“, „schnauze, ich bin der Vogelkönig, twiiiiet“ und so weiter. Als ich die Hauptstraße sehen konnte, bot sich mir ein Bild des Schreckens.
Ein Minivan mit Anhänger stand mitten auf der Straße, dahinter lag ein Mann auf dem Asphalt. Der Fahrer hatte eines dieser kabellosen Telefone in der Hand und redete aufgeregt hinein. Der regungslose Mann am Boden war ein stattbekannter Junky, der mich schon als Nazi, Hurensohn und was weiß ich beschimpft hat und aus Afrika stammt.
Ich scheue Unfälle, aber wenn man damit konfrontiert wird, muss man den Ekel überwinden und helfen. Also ging ich zu dem Afrikaner und schaute ihn an. Er blutete leicht an der Hand und am Kopf. Überwinde den Ekel! Ich beugte mich zu ihm runter um herauszufinden, ob er bei Bewusstsein war. Er atmete noch, aber er reagierte nicht auf mich.
Ich fürchtete das Schlimmste und da ich von Hans Meiser mit Horrorstories über innere Blutungen und Knochen- (Halswirbel-) brüchen indoktriniert wurde, wollte ich auf die Sanies warten, bevor ich womöglich noch etwas kaputt machen würde.
Derweil beendete der Fahrer sein Telefonat und kam zu mir. Er erklärte mir, dass der Afrikaner bereits auf dem Boden lag, als er mit dem Auto ankam. Wie als hätte dieser gehört, dass über ihn gesprochen wurde, stand er plötzlich kreuzfidel neben mir und hörte dem erschrockenen Fahrer aufmerksam zu. Ich denke, ich habe bei dieser positiven Überraschung genauso blöd aus der Wäsche geschaut wie der Fahrer.
Wir überredeten den Afrikaner, zu warten, bis die Polizei eintraf. Dies war nicht einfach, da er zwar deutsch sprach, aber trotzdem nicht verstand, warum der arme Fahrer total durch den Wind war. „Alles ok, alles ok! Ich geh in Stadt.“.
Währenddessen kam die Angestellte zum Feierabend die Auffahrt herunter und ließ sich von mir über alles aufklären. Sie ging nochmals zurück und holte Wasser für uns drei. Dann kam die Polizei. Die Polizei, das waren zwei Beamte mittleren Alters, kannte das vermeindliche Opfer bereits und befragte ihn zum Hergang des Geschehens. Dem Fahrer wurde versichert, dass er wegen nichts belangt werden konnte und sich keine Sorgen mehr machen musste.
Dann traten die Beamten auf mich zu. Sie erklärten mir, wo der Afrikaner seine Unterkunft hatte. Dann stiegen sie ins Auto ein und befahlen mir, den Mann gut nach Hause zu bringen. Mein Freund und Helfer fuhr einfach davon. What!? Das verstößt gegen die Regeln, meine Herren!
Der Afrikaner wollte partout nicht heim und mir war es ehrlich gesagt auch egal, da er wieder fit zu sein schien und ich derjenige war, der gerne heimwärts begleitet worden wäre. Also ging er weiter in die Stadt und ich begleitete ihn, bis sich unsere Wege trennten… Um auf dem langen Weg nicht einzuschlafen, rief ich mir immer wieder das verantwortungslose und regelwidrige Verhalten der Polizei in den Kopf. Sauerei, nicht wahr?
Filed under: Geschichten, Mal sehen | Schlagwörter: 1853, Abwechslung, Angebot, Angestellte, Atem, Ausstellungsraum, C. Beschstein, Centrum, Chopin, deutscher Michel, Einöde, Entspannung, Fenster, Flügel, Gegend, Geschäft, Glasfassade, Hand, Klavier, Klänge, kondensieren, Konzert, Nabel der Welt, Piano, Ruhe, spielen, Stadt, Stück, Töne, Verkaufsraum
In einer verlassenen Gegend in einem Randbezirk meiner Stadt gibt es ein C. Bechstein Centrum. Bechstein ist ein deutscher Hersteller, welcher seit 1853 hochwertige Flügel und Pianos baut. Jetzt kenne ich mich mit diesen Instrumenten genauso wenig aus, wie ich sie spielen kann. Aber der Klang eines Klaviers kann mich durchaus verzaubern und ich habe Respekt vor denen, die ihre linke Hand unabhängig von der rechten bewegen können.
Ich war also gerade in dieser verlassenen Gegend unterwegs und fand mich plötzlich vor dem C. Bechstein Centrum. Durch die Glasfasade konnte ich die schönen Flügel und Pianos sehen. Ich trat so nahe an die kalte Scheibe heran, bis mein Atem daran kondensierte und lies meinen Blick über die Ausstellungsstücke schweifen. Um dem Fensterputzer einen Gefallen zu tun, hörte ich auf zu atmen. Aber als mir dann schwindelig wurde, beschloss ich in das Geschäft zu gehen.
Absolute Stille und keine Menschenseele. Ich bestaunte einen pechschwarzen Flügel und versuchte, die Technik und die Arbeit, die hinter diesem Stück steckt, zu verstehen. Von weit hinten aus dem großen Raum kam, wie aus dem Nichts, ein Mann auf mich zu und stellte sich mir vor. Ich reichte ihm meine Hand, nannte meinen Namen und erklärte ihm, dass ich keinerlei Ahnung von diesen Instrumenten habe und mich deshalb einfach nur allgemein dafür interessiere. Der freundliche Mann erkannte die Gunst der Stunde und bot mir zur Abwechslung seines einsamen Daseins an, etwas für mich auf einem Flügel vorzuspielen. Ich nahm das Angebot natürlich ebenso erfreut an. Wann erhält der deutsche Michel sonst mal wieder so eine Chance!?
Der Verkäufer setzte sich an einen großen Flügel, erklärte mir kurz die Eigenschaften des Instruments und begann dann ein Stück zu spielen. Ich denke, es war Chopin. Jedoch behielt ich meine unfachmännische Ahnung für mich und lauschte einfach nur den Klängen. Es war sehr entspannend. So stand ich also in der städtischen Einöde in einem C. Bechstein Centrum und genoss die Ruhe, welche durch die Harmonie der einzelnen Töne vollendet wurde. Mein eigener Pianist ergab sich dem Spiel mit seiner ganzen Leidenschaft. Für die Dauer des Stücks waren wir der Nabel der Welt.
Er beendete sein Spiel und es kehrte wieder die graue Ruhe der Einöde ein. Ich bedankte mich und gab ihm meine Hand zum Abschied. Dann entdeckte ich hinten im Raum eine weitere Angestellte, die in einem vom Ausstellungsraum abgetrennten Büro Schreibkram erledigte. Der Mann bedankte sich auch bei mir und gab mir noch einen Plan der Konzerte für das kommende Jahr mit, deren Besuch er mir herzlich empfahl. Dann drehten wir uns um, ich ging zum Ausgang und er zurück zu seiner Kollegin.
Filed under: Geschichten, Mal sehen | Schlagwörter: Assoziation, übermenschlich, Bestimmung, Billy Talent, City, Egoismus, Erfahrungen, Familien, Fantasie, Frank Sinatra, Geborgenheit, Gitarre, Handlungen, Handy, Kinder, Klarinette, Klarinettenkonzert, Kulturkreis, leichtgläubig, Marktplatz, Mitarbeiter, Musiker, My Way, Repertoire, Schicksal, Stadt, Wissen, Zufall
Als ich gerade durch die Stadt lief und mich nach dem Kauf eines 2,99-Euro-Buches auf die Stufen am Marktplatz setzte, fingen zwei Straßenmusiker an zu spielen. Der eine mit Klarinette, der andere mit Gitarre. Nichts künstlerisch Wertvolles, wer jetzt sonstewas erwartet, aber vollkommen ausreichend.
Von oben konnte ich die Situation schön betrachten. Es war reges Getümmel auf dem Platz. Einzelne Menschen, Familien mit Kindern, Familien (Paare) ohne Kinder, Kinder pur, Freunde, Arbeiter. Menschen. Die Musik gefiel mir. Swingige Dudelmusik. Nun aber lautete der Titel meines neu gekauften Buches „I Did It My Way“. Und was spielen die zwei betagten und begabten Herren? „My Way“ von „Old Blue Eyes“ Franky Sinatra. Ein Klassiker, den jeder Straßenmusiker drauf hat. Ist so. Und das Buch habe ich gewählt, weil es die wahre Geschichte eines Mannes im New York der fünfziger Jahre erzählt. Sowas mag ich.
In meinen Augen ist das alles sicherlich ein netter Zufall, aber ohne weitere Bedeutung. Außer der, dass der Zufall so erstaunlich sein kann, dass es nicht verwundert, wenn „leichtgläubige“ Menschen dann an „mehr“ denken. Wobei es keine Herabwürigung bedeuten soll, wenn ich von „leichtgläubig“ spreche. Denn Assoziationsfähigkeit, Fantasie, ein Bedürfnis nach Geborgenheit und Egoismus sitzen in jedem von uns. Egoismus deshalb, weil der Glaube an Bestimmung oder Schicksal, eingeleitet oder ausgeführt von so vielen unabhängigen Faktoren, voraussetzt, dass man sich selbst als Ziel dessen versteht. Alle Personen würden also letztlich dem Plan folgen, der nur im Kopf eines Einzelnen zum Erfolg führt. Ein Ziel gibt es dabei aber nicht. Es ist das zwangsläufige Zusammentreffen eines Repertoirs an Erfahrungen, Handlungen, Wissen und Menschen, die, im selben Kulturkreis, sehr ähnliche Repertoires besitzen. Warum Geborgenheit? Weil Geborgenheit sich schon dadurch ergibt, dass man weiß, dass jemand an einen denkt. Der Gedanke, eine übermenschliche Kraft hätte diesen Moment, diese Gedanken geschaffen, um quasi „hey du da“ zu sagen, lässt im simplen Mensch schon so etwas wie Geborgenheit aufkommen. Kommt rüber, was ich sagen will?
Die Musiker spielten noch ein bisschen. Die Menschen gingen an ihnen vorüber. Manche lauschten kurz, andere unterhielten sich (direkt oder mit Handy), einige hörten nichts von der Musik, sondern lieber Billy Talent. Wenige blieben stehen oder sitzen. Dann setzte der Regen ein und hörte nach einer Minute auch schon wieder auf. Aber den zwei Musikern war das Zeichen genug, die Koffer zu packen. Mir dann auch. Ist das Leben nicht wundervoll!? Ja!